Es darf wie­der maß­ge­schnei­dert wer­den: War­um klas­si­sche Mode nach­hal­ti­ger ist

Auf den Trend des „Fast food“ folgte „Slow food“. Mit „Fast Fashion“, dem ex und hopp der Konsumgesellschaft, dürfte es ähnlich gehen. Wir brauchen eine andere Einstellung zu unserer Kleidung. Warum nicht nur britische Agenten maßgeschneidert tragen sollten und wie sich nachhaltige Mode verwirklichen lässt, zeigt euch das Beispiel klassischer Couture.

Vie­le Men­schen in west­li­chen Kon­sum­ge­sell­schaf­ten ken­nen das Pro­blem: Der Klei­der­schrank platzt schon aus allen Näh­ten, aber sich etwas Neu­es zum Anzie­hen kau­fen, macht ein­fach Spaß. So müs­sen Klei­dungs­stü­cke wei­chen, die viel­leicht noch gar nicht oder nur sehr sel­ten getra­gen wur­den. Die Ver­schwen­dung, die dies bedeu­tet, wenn man Klei­dungs­stü­cken nach kur­zem, viel­leicht gera­de ein­ma­li­gen Gebrauch, weg­wirft oder ein­mot­tet, ist den Wenigs­ten bewusst. Denn für die Her­stel­lung eines T‑Shirts sind bis zu sech­zehn vol­le Bade­wan­nen Was­ser nötig. Hin­zu kommt, dass die meis­ten Shirts eine Stre­cke von bis zu 18.000 Kilo­me­tern zurück­ge­legt haben, wenn sie fer­tig im Laden lie­gen: Ein­mal um die hal­be Welt.

Maß­ge­schnei­der­ter Anzug, Foto: matham315 @pixabay


Less is more 

Lan­ge bevor sich die fern­öst­lich wir­ken­de Weis­heit des „Weni­ger ist mehr“ bei uns her­um­ge­spro­chen hat, gehör­te sie schon zu den jedem Kind bekann­ten Weis­hei­ten der eng­li­schen Spra­che. Gut mög­lich, dass sich aus die­ser Geis­tes­hal­tung in Eng­land ein Qua­li­täts­be­wusst­sein für Klei­dung ent­wi­ckelt hat, das bis heu­te nicht gänz­lich ver­lo­ren ist. Wer ein­mal in Lon­don war, hat viel­leicht im Umfeld der Savi­le Row und Jer­myn Street tra­di­tio­nel­le Schnei­de­rei­en ent­deckt, die dem Trend der „Fast Fashion“ stets wider­stan­den haben. Ihre Kun­den­bü­cher geben viel­mehr seit 150 Jah­ren fak­tisch das „Who is Who“ der bri­ti­schen Gesell­schaft wie­der. Was ein­mal dort in voll­ende­ter Maß­ar­beit in Auf­trag gege­ben wur­de, wur­de von den Kun­den über Jahr­zehn­te getra­gen, gepflegt und immer wie­der erneu­ert. Gehört es doch bis heu­te als Dienst­leis­tung sol­cher Häu­ser dazu, die in tra­di­tio­nel­ler Hand­werks­kunst gefer­tig­ten Klei­dungs­stü­cke für den Kun­den bei Bedarf zu ändern oder aus­zu­bes­sern. Wie man sieht: Nach­hal­tig­keit im bes­ten Sin­ne des Wor­tes! War­um dies kein Pri­vi­leg der „High Socie­ty“ sein muss, ver­ra­ten wir Euch im Weiteren.

Fei­ne Stof­fe in Wien

Nur ein dau­er­haft getra­ge­nes Klei­dungs­stück ist ein nach­hal­ti­ges. Bevor es ent­steht, kommt zuerst die Beschäf­ti­gung mit dem Stoff, aus dem es gefer­tigt wer­den soll. Es lohnt, sich damit Zeit zu las­sen und die Aus­wahl sorg­fäl­tig hin­sicht­lich der ver­schie­dens­ten Kri­te­ri­en zu tref­fen, die sich dar­an ori­en­tie­ren, wann und bei wel­chen Gele­gen­hei­ten es getra­gen wer­den soll. Am bes­ten ist es, sich fach­kun­dig bera­ten zu las­sen, wel­che spe­zi­el­len Eigen­schaf­ten und wel­che Her­kunfts­ge­schich­te ein Stoff hat, der in die nähe­re Aus­wahl kommt.

Unser Tipp: In Wien exis­tiert ein Spe­zia­list fei­ner Stof­fe: Wil­helm Jung­mann und Nef­fe. Nur weni­ge Schrit­te von der Wie­ner Oper ent­fernt fin­det sich eine Aus­wahl von 1000 vor­rä­ti­gen Stof­fen höchs­ter Qua­li­tät und Lang­le­big­keit. Das seit 1836 exis­tie­ren­de Geschäft führt aus­schließ­lich in Ita­li­en und Eng­land her­ge­stell­te Ware von bekann­ten Fir­men wie Loro Pia­na und Zegna, aber auch von klei­ne­ren Webe­rei­en wie Fox Brot­hers, die mit­un­ter noch in Fami­li­en­be­sitz sind. Das zuvor­kom­men­de Ver­kaufs­per­so­nal ist dar­auf spe­zia­li­siert, den Kun­den gemäß sei­nen per­sön­li­chen Ansprü­chen und Wün­schen fach­kun­dig zu bera­ten; ein Ein­kaufs­er­leb­nis der beson­de­ren Art.

Cus­to­mer own

Seit Grün­dung des Wie­ner Geschäf­tes, das sich heu­te noch mit gedie­ge­ner Holz­ver­tä­fe­lung dar­bie­tet wie in kai­ser­li­chen Zei­ten und eben des­we­gen ger­ne als Kulis­se für his­to­ri­sche Fil­me ver­wen­det wird, deck­ten sich über Jahr­zehn­te vie­le Schnei­der aus Ost­eu­ro­pa mit den bes­ten Stof­fen ein. Das Geschäfts­buch ist eine wah­re Fund­gru­be für For­scher der alten K.K. Zeiten.

Bis heu­te fin­den sich in ost­eu­ro­päi­schen Län­dern (wie auch in Fern­ost) preis­güns­ti­ge Schnei­der, bei denen man sich nach­hal­ti­ge Mode maß­fer­ti­gen las­sen kann.

Wer ger­ne auf Rei­sen geht oder sich aus ande­ren Grün­den häu­fi­ger in die­sen Län­dern auf­hält, soll­te davon pro­fi­tie­ren. Infor­ma­tio­nen über emp­feh­lens­wer­te Schnei­der (die es nicht nur in Ost­eu­ro­pa gibt!) hält Wil­helm Jung­mann eben­falls bereit.

Ist man bei dem künf­ti­gen Schnei­der sei­nes Ver­trau­ens ange­kom­men, lohnt es immer, sich bereits fer­ti­ge Stü­cke zei­gen zu las­sen, um sich von ihrer hand­werk­li­chen Qua­li­tät zu über­zeu­gen. Eine Ori­en­tie­rung vor­ab gibt bereits die Home­page oder der Insta­gram-Sei­te des Ateliers.

Weil die vor Ort vor­han­de­ne Stoff­aus­wahl zumeist begrenzt und in aller Regel auf die kli­ma­ti­schen Ver­hält­nis­se des jewei­li­gen Lan­des ange­passt ist, emp­feh­len wir, den Stoff mit­zu­brin­gen, der für einen per­sön­lich die ers­te Wahl ist.

Die­ser vom Kun­den mit­ge­brach­te Stoff wird gewöhn­lich als „cus­to­mer own“ bezeich­net. Even­tu­ell wird dafür eine klei­ne Gebühr berech­net, die zu zah­len sich jedoch in jedem Fal­le lohnt. Es erfolgt sodann die Auf­nah­me der per­sön­li­chen Maße. 

Foto: Elf-Moond­ance @pixabay

Bespo­ke Tailoring

Der Kun­de wird vom Schnei­der genau ver­mes­sen; ist es ein Schnei­der, der sei­nen Beruf ver­steht, wer­den Schwä­chen des Kör­per­baus durch den indi­vi­du­el­len Schnitt über­deckt. Alle Details des anzu­fer­ti­gen­den Stü­ckes soll­ten dar­auf­hin mit dem Schnei­der bespro­chen wer­den. Auf­grund die­ser genau­en Ver­ab­re­dun­gen bezeich­net man in Eng­land die­se Art des Klei­dungs­kaufs tra­di­tio­nell auch „bespo­ke“ (bespro­chen).

Aller­dings ist zu beden­ken: Die meis­ten Schnei­der spre­chen nur in gerin­gem Maße Fremd­spra­chen. Daher unser Tipp: Durch einen Anruf zuvor klä­ren, wie gut die sprach­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on ist. Soll­ten in die­ser Hin­sicht  Schwie­rig­kei­ten vor­han­den sein: Ent­we­der ein Klei­dungs­stück mit­brin­gen, das als Vor­la­ge die­nen könn­te oder den Schnei­der in Beglei­tung eines Mut­ter­sprach­lers auf­su­chen, der einen gut genug ver­steht, um dann die Wün­sche an den Schnei­der in sei­ner Spra­che wei­ter­zu­ge­ben. Das Hotel oder die Unter­kunft kön­nen dabei ein ers­ter Ansprech­part­ner sein.

Nor­ma­ler­wei­se erfol­gen sodann zwei Anpro­ben. Zwi­schen ihnen kön­nen ein bis zwei Wochen lie­gen. Eure Rei­se­pla­nung soll­te also dar­auf ein­ge­rich­tet sein.

Das Resul­tat wird immer ein Klei­dungs­stück sein, zu dem man ein ganz beson­de­res per­sön­li­ches Ver­hält­nis erhal­ten wird. Mit einer ein­ma­li­gen Note. Vor allem aber mit tadel­lo­sem Sitz, die Ware von der Klei­der­stan­ge um ein Viel­fa­ches über­trifft. Und des­halb über Jah­re, wenn nicht gar über Jahr­zehn­te wert­ge­schätzt, gepflegt und benutzt wird. So lang­le­big wie nach­hal­ti­ge Mode eben sein sollte…!

-MCK-

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