Lügen als Krank­heit – Ursa­chen und Sym­pto­me von Pseudologie

Baron Münchhausen, Foto: WikiImages @pixabay

Als Pseudologen bezeichnet man Menschen, die aus einem inneren Zwang heraus lügen, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Dieses Verhalten wird auch Mythomanie genannt. Doch ist es wirklich eine Krankheit oder eher eine geplante Schwindelei mit Hintergedanken?

Obwohl Pseu­do­lo­gie als Sym­ptom aner­kannt wird, sind sich Exper­ten unei­nig dar­über, ob die­ses Ver­hal­ten für sich allein genom­men eine psy­chi­sche Stö­rung ist. Fakt ist, dass Pseu­do­lo­gen ihr Umfeld dau­er­haft mani­pu­lie­ren, was für sie selbst und natür­lich auch für ihre Bezugs­per­so­nen zu gra­vie­ren­den Pro­ble­men führt.

So han­deln Pseudologen

Schwin­deln und klei­ne Not­lü­gen zu erfin­den ist nor­mal und jeder Mensch hat es schon ein­mal getan, sei es aus Lie­be, um jeman­den nicht zu ver­letz­ten wie zum Bei­spiel durch den Satz: „Die Fri­sur sieht doch gut aus“, wenn die Freun­din ver­schnit­ten vom Fri­seur kommt, oder um sich vor gestell­ten Auf­ga­ben zu drü­cken. Das ken­nen wir alle.

Aber was sind die Anzei­chen eines an Pseu­do­lo­gie erkrank­ten Men­schen, oder wor­an kann man erken­nen, dass die Erzäh­lung nicht ganz der Wahr­heit entspricht? 

Das sind die typi­schen Anzeichen:

  • Die erzähl­ten Geschich­ten beinhal­ten oft einen wah­ren Kern, an dem sich die Betrof­fe­nen orientieren
  • Betrof­fe­ne sind oft über­durch­schnitt­lich char­mant, krea­tiv und organisiert
  • Die Geschich­ten wer­den über einen lan­gen Zeit­raum auf­recht­erhal­ten, z. B. durch angeb­li­che Gruß­kar­ten und Geschen­ke der weit ent­fernt leben­den Ver­wandt­schaft, die der Pseu­do­lo­ge in Wirk­lich­keit selbst besorgt
  • Betrof­fe­ne sind sich spä­tes­tens im Nach­hin­ein dar­über im Kla­ren, dass sie nicht die Wahr­heit erzäh­len (im Gegen­satz zu Men­schen, die an Wahn­vor­stel­lun­gen und Psy­cho­sen leiden)
  • Die Lügen die­nen dazu, das Selbst­wert­ge­fühl des Betrof­fe­nen auf­zu­wer­ten oder Pro­ble­me zu ver­mei­den („Ich habe ein paar Jah­re in den USA gear­bei­tet“ oder „Um die Rech­nung habe ich mich schon gekümmert“)
  • Betrof­fe­ne haben oft kei­nen Kon­takt mehr zu ihrer Fami­lie, da Fami­li­en­mit­glie­der die Lügen leich­ter ent­tar­nen kön­nen als Men­schen, die der Pseu­do­lo­ge im spä­te­ren Leben neu kennenlernt

Die­se Anzei­chen zu erken­nen und mit der Tat­sa­che, dass es sich um Lügen han­delt, umge­hen zu kön­nen, ist nicht leicht, denn die Geschich­ten sind oft so real und ver­wach­sen, dass man über­haupt nicht auf die Idee kommt, sie könn­ten nicht der Wahr­heit ent­spre­chen. Über die Jah­re ent­wi­ckeln Pseu­do­lo­gen zudem ein immer grö­ße­res Geschick im Lügen und ver­su­chen mit aller Kraft, ihre Kon­struk­te zu erhalten.

Bei­spie­le für mög­li­che Geschich­ten eines Pseudologen

  • Ein Mann lernt eine neue Part­ne­rin ken­nen, und erzählt ihr aus Scham, dass er ein Ver­si­che­rungs­mak­ler ist, obwohl er in Wirk­lich­keit Hartz IV bezieht
  • Jemand erzählt, durch muti­ges Ein­schrei­ten ein Men­schen­le­ben geret­tet zu haben, obwohl er eigent­lich nur den Ret­tungs­dienst und die Poli­zei alar­miert hat
  • Eine Per­son erzählt, ihre Eltern sei­en bei einem Unfall gestor­ben, anstatt zuzu­ge­ben, dass sie vor Jah­ren den Kon­takt abge­bro­chen haben

Woher kommt der Drang, Lügen zu erzählen?

An Pseu­do­lo­gie erkrank­te Men­schen haben das Ver­lan­gen, den eige­nen Wert zu stei­gern und sich anders dar­zu­stel­len, als es der Wahr­heit entspricht.

Grund dafür kann z. B. ein Trau­ma sein sowie man­geln­de Lie­be und Für­sor­ge im Kin­des­al­ter, so dass die Betrof­fe­nen nie die Mög­lich­keit hat­ten, ein gesun­des Selbst­be­wusst­sein zu ent­wi­ckeln. Somit ver­su­chen an Pseu­do­lo­gie lei­den­de Men­schen durch Lügen Aner­ken­nung zu bekom­men – auch, weil sie sich als die Per­son, die sie in Wahr­heit sind, als nicht lie­bens­wert empfinden.

Was bedeu­tet das eige­ne Ver­hal­ten für die Betrof­fe­nen selbst?

Für noto­ri­sche Lüg­ner bedeu­tet ihr eige­nes Ver­hal­ten immer Stress. Der Zwang zu lügen kann einer Sucht ähneln, zumal Betrof­fe­ne durch hel­den­haf­te, aben­teu­er­li­che oder mit­leid­erre­gen­de Geschich­ten Aner­ken­nung bekom­men. Außer­dem fällt es die­sen Per­so­nen auf Dau­er immer schwe­rer, den Über­blick über ihre Lügen zu behal­ten, und sie leben mit der per­ma­nen­ten Angst, ent­larvt zu wer­den – mit der Kon­se­quenz, dann wahr­schein­lich ihre engs­ten und liebs­ten Men­schen zu verlieren.

Wie lernt man, mit Mytho­ma­nie umzugehen?

Für Betrof­fe­ne ist es wich­tig, den Mut zu fin­den, ihr eige­nes Ver­hal­ten als falsch und schäd­lich (für sich selbst und ihr Umfeld) zu erken­nen und im wei­te­ren Ver­lauf zu ihren Lügen zu ste­hen. Natür­lich kos­tet es eine Men­ge Mut, sei­ne eige­nen Lügen zuzu­ge­ben – vor allem, wenn sie so weit­rei­chend und zahl­reich sind, dass Freun­de und Part­ner das Gefühl haben, den­je­ni­gen nie­mals gekannt zu haben. Denn was bleibt abzüg­lich aller Lügen noch übrig? Somit erschüt­tern Pseu­do­lo­gen nach­hal­tig das Ver­trau­en ihrer engs­ten Bezugs­per­so­nen, da sie selbst nicht dar­auf ver­trau­en, gemocht und geschätzt zu wer­den, wenn sie ehr­lich sind.

Mit der Krank­heit nach der Ent­de­ckung umzu­ge­hen, ist für Betrof­fe­ne sowie die Men­schen in ihrem nähe­ren Umfeld daher nicht ein­fach. Wenn Pseu­do­lo­gen damit kon­fron­tiert wer­den, dass sie lügen, kön­nen sie aggres­siv reagie­ren, aus­wei­chen, abblo­cken oder ein­fach eine wei­te­re Lüge erzählen.

Ver­ständ­nis und (psy­cho­lo­gi­sche) Hil­fe bei Pseudologie

Daher ist es wich­tig, nach Mög­lich­keit nicht mit Wut oder Vor­wür­fen auf das Ver­hal­ten Betrof­fe­ner zu reagie­ren, denn dadurch ist nie­man­dem gehol­fen. Außer­dem wür­de eine sol­che Reak­ti­on die grund­le­gen­den Selbst­zwei­fel des Pseu­do­lo­gen bestä­ti­gen: Dass er nichts wert und vor allem nicht lie­bens­wert ist.

Auch wenn es für Außen­ste­hen­de schwer nach­voll­zieh­bar scheint: Nie­mand lügt frei­wil­lig per­ma­nent in die­sem Aus­maß. Der Lei­dens­druck muss schon sehr hoch sein, wenn man die eige­ne Per­sön­lich­keit und Bio­gra­fie lie­ber kom­plett ver­leug­net und ris­kiert, sei­ne wich­tigs­ten Bezugs­per­so­nen zu verlieren.

Ver­ständ­nis ist der Schlüs­sel. Dabei hilft viel­leicht die Erkennt­nis, dass die Lügen sich nicht gegen das Umfeld rich­ten, son­dern immer gegen den Erkrank­ten selbst. Natür­lich wie­gen das zer­stör­te Ver­trau­en und die eige­ne Ent­täu­schung schwer, und auf jeden Fall müs­sen Betrof­fe­ne erken­nen, dass sie (psy­cho­lo­gi­sche) Hil­fe brau­chen. Je mehr Unter­stüt­zung sie dabei erfah­ren, umso bes­ser kön­nen sie ler­nen, dass sie die­se Lügen nicht nötig haben und die Ursprün­ge ihres Ver­hal­tens ergründen.

-MCK-