Obwohl Pseudologie als Symptom anerkannt wird, sind sich Experten uneinig darüber, ob dieses Verhalten für sich allein genommen eine psychische Störung ist. Fakt ist, dass Pseudologen ihr Umfeld dauerhaft manipulieren, was für sie selbst und natürlich auch für ihre Bezugspersonen zu gravierenden Problemen führt.
So handeln Pseudologen
Schwindeln und kleine Notlügen zu erfinden ist normal und jeder Mensch hat es schon einmal getan, sei es aus Liebe, um jemanden nicht zu verletzten wie zum Beispiel durch den Satz: „Die Frisur sieht doch gut aus“, wenn die Freundin verschnitten vom Friseur kommt, oder um sich vor gestellten Aufgaben zu drücken. Das kennen wir alle.
Aber was sind die Anzeichen eines an Pseudologie erkrankten Menschen, oder woran kann man erkennen, dass die Erzählung nicht ganz der Wahrheit entspricht?
Das sind die typischen Anzeichen:
- Die erzählten Geschichten beinhalten oft einen wahren Kern, an dem sich die Betroffenen orientieren
- Betroffene sind oft überdurchschnittlich charmant, kreativ und organisiert
- Die Geschichten werden über einen langen Zeitraum aufrechterhalten, z. B. durch angebliche Grußkarten und Geschenke der weit entfernt lebenden Verwandtschaft, die der Pseudologe in Wirklichkeit selbst besorgt
- Betroffene sind sich spätestens im Nachhinein darüber im Klaren, dass sie nicht die Wahrheit erzählen (im Gegensatz zu Menschen, die an Wahnvorstellungen und Psychosen leiden)
- Die Lügen dienen dazu, das Selbstwertgefühl des Betroffenen aufzuwerten oder Probleme zu vermeiden („Ich habe ein paar Jahre in den USA gearbeitet“ oder „Um die Rechnung habe ich mich schon gekümmert“)
- Betroffene haben oft keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie, da Familienmitglieder die Lügen leichter enttarnen können als Menschen, die der Pseudologe im späteren Leben neu kennenlernt
Diese Anzeichen zu erkennen und mit der Tatsache, dass es sich um Lügen handelt, umgehen zu können, ist nicht leicht, denn die Geschichten sind oft so real und verwachsen, dass man überhaupt nicht auf die Idee kommt, sie könnten nicht der Wahrheit entsprechen. Über die Jahre entwickeln Pseudologen zudem ein immer größeres Geschick im Lügen und versuchen mit aller Kraft, ihre Konstrukte zu erhalten.
Beispiele für mögliche Geschichten eines Pseudologen
- Ein Mann lernt eine neue Partnerin kennen, und erzählt ihr aus Scham, dass er ein Versicherungsmakler ist, obwohl er in Wirklichkeit Hartz IV bezieht
- Jemand erzählt, durch mutiges Einschreiten ein Menschenleben gerettet zu haben, obwohl er eigentlich nur den Rettungsdienst und die Polizei alarmiert hat
- Eine Person erzählt, ihre Eltern seien bei einem Unfall gestorben, anstatt zuzugeben, dass sie vor Jahren den Kontakt abgebrochen haben
Woher kommt der Drang, Lügen zu erzählen?
An Pseudologie erkrankte Menschen haben das Verlangen, den eigenen Wert zu steigern und sich anders darzustellen, als es der Wahrheit entspricht.
Grund dafür kann z. B. ein Trauma sein sowie mangelnde Liebe und Fürsorge im Kindesalter, so dass die Betroffenen nie die Möglichkeit hatten, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Somit versuchen an Pseudologie leidende Menschen durch Lügen Anerkennung zu bekommen – auch, weil sie sich als die Person, die sie in Wahrheit sind, als nicht liebenswert empfinden.
Was bedeutet das eigene Verhalten für die Betroffenen selbst?
Für notorische Lügner bedeutet ihr eigenes Verhalten immer Stress. Der Zwang zu lügen kann einer Sucht ähneln, zumal Betroffene durch heldenhafte, abenteuerliche oder mitleiderregende Geschichten Anerkennung bekommen. Außerdem fällt es diesen Personen auf Dauer immer schwerer, den Überblick über ihre Lügen zu behalten, und sie leben mit der permanenten Angst, entlarvt zu werden – mit der Konsequenz, dann wahrscheinlich ihre engsten und liebsten Menschen zu verlieren.
Wie lernt man, mit Mythomanie umzugehen?
Für Betroffene ist es wichtig, den Mut zu finden, ihr eigenes Verhalten als falsch und schädlich (für sich selbst und ihr Umfeld) zu erkennen und im weiteren Verlauf zu ihren Lügen zu stehen. Natürlich kostet es eine Menge Mut, seine eigenen Lügen zuzugeben – vor allem, wenn sie so weitreichend und zahlreich sind, dass Freunde und Partner das Gefühl haben, denjenigen niemals gekannt zu haben. Denn was bleibt abzüglich aller Lügen noch übrig? Somit erschüttern Pseudologen nachhaltig das Vertrauen ihrer engsten Bezugspersonen, da sie selbst nicht darauf vertrauen, gemocht und geschätzt zu werden, wenn sie ehrlich sind.
Mit der Krankheit nach der Entdeckung umzugehen, ist für Betroffene sowie die Menschen in ihrem näheren Umfeld daher nicht einfach. Wenn Pseudologen damit konfrontiert werden, dass sie lügen, können sie aggressiv reagieren, ausweichen, abblocken oder einfach eine weitere Lüge erzählen.
Verständnis und (psychologische) Hilfe bei Pseudologie
Daher ist es wichtig, nach Möglichkeit nicht mit Wut oder Vorwürfen auf das Verhalten Betroffener zu reagieren, denn dadurch ist niemandem geholfen. Außerdem würde eine solche Reaktion die grundlegenden Selbstzweifel des Pseudologen bestätigen: Dass er nichts wert und vor allem nicht liebenswert ist.
Auch wenn es für Außenstehende schwer nachvollziehbar scheint: Niemand lügt freiwillig permanent in diesem Ausmaß. Der Leidensdruck muss schon sehr hoch sein, wenn man die eigene Persönlichkeit und Biografie lieber komplett verleugnet und riskiert, seine wichtigsten Bezugspersonen zu verlieren.
Verständnis ist der Schlüssel. Dabei hilft vielleicht die Erkenntnis, dass die Lügen sich nicht gegen das Umfeld richten, sondern immer gegen den Erkrankten selbst. Natürlich wiegen das zerstörte Vertrauen und die eigene Enttäuschung schwer, und auf jeden Fall müssen Betroffene erkennen, dass sie (psychologische) Hilfe brauchen. Je mehr Unterstützung sie dabei erfahren, umso besser können sie lernen, dass sie diese Lügen nicht nötig haben und die Ursprünge ihres Verhaltens ergründen.
-MCK-