Was wol­len wir trin­ken? Der zwei­fel­haf­te Zau­ber des Alkohols

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Die Deutschen trinken gerne Alkohol – heute weniger als noch vor 20 oder 40 Jahren, doch noch immer gehört für viele das Bier zum Fußballschauen oder Feierabend, der leckere Rotwein zum guten Essen, der Cocktail zur Sommerparty und der Whiskey zum Kamin.

Die Aus­wahl an alko­ho­li­schen Geträn­ken ist groß: Jedes hat sei­ne eige­nen Qua­li­tä­ten und sei­ne Fans. Alko­hol in nahe­zu jeder Form ist für uns stets ver­füg­bar und gehört für vie­le zum gesel­li­gen Zusam­men­sein dazu.

Alko­hol – ein ris­kan­tes Vergnügen

Zudem hat die Wer­be­indus­trie über Jahr­zehn­te dafür gesorgt, dass die Ver­bin­dung zwi­schen bestimm­ten Geträn­ken und beson­de­ren Anläs­sen so eng gewor­den ist, dass Alko­hol bei Fest­lich­kei­ten kaum noch weg­zu­den­ken ist.

Doch nicht nur in gesel­li­gen Run­den und zu aus­ge­wähl­ten Gele­gen­hei­ten wird er kon­su­miert; für vie­le ist ein Leben ohne den Griff zur Fla­sche kaum noch denk­bar. Laut einer Erhe­bung aus dem Jahr 2018 kon­su­mier­ten knapp 7 Mil­lio­nen Deut­sche Alko­hol in einem unge­sun­den Maß. Die­se zwei Sei­ten der Medail­le haben dem Alko­hol schon immer einen zwei­fel­haf­ten Zau­ber verliehen.

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Plut­arch und der Wein

„Der Wein ist unter den Geträn­ken das nütz­lichs­te, unter den Arz­nei­en die schmack­haf­tes­te und unter den Nah­rungs­mit­teln das ange­nehms­te“, pries bereits in der Anti­ke der grie­chi­scher His­to­ri­ker Plut­arch die Vor­zü­ge des ver­go­re­nen Trau­ben­saf­tes. In gerin­gen Maßen genos­sen ist dem nicht zu wider­spre­chen. Ins­be­son­de­re, weil Wein in der grie­chisch-römi­schen Welt in aller Regel mit Was­ser ver­dünnt getrun­ken wurde.

Gleich­wohl kann­te die Anti­ke auch schon die Kehr­sei­te des maß­vol­len Trin­kens: Mytho­lo­gisch ver­kör­pert wird sie von Dio­ny­sos, dem Gott des Wei­nes, des Rau­sches, der Eksta­se, ja des Wahn­sinns, der im Gott Apol­lon (Hei­lung, Rein­heit und Mäßi­gung) sei­nen Gegen­part hat. Die­se Gegen­sätz­lich­keit des Apol­li­nisch-Dio­ny­si­schen spie­gel­te schon damals die Janus­köp­fig­keit des Alko­hols wider. Doch die Ver­bin­dung zwi­schen Men­schen und Alko­hol ist noch weit­aus älter.

Hal­lu­zi­na­tio­nen in der Steinzeit

Bereits bei den Men­schen der Stein­zeit (um 10.000 v. Chr.) konn­te nach­ge­wie­sen wer­den, dass sie fer­men­tier­te Geträn­ke her­stell­ten. In der wis­sen­schaft­li­chen For­schung wird die Her­aus­bil­dung des Bewusst­seins und der Vor­stel­lungs­ga­be des Men­schen mit dem Ver­zehr von Pil­zen, die hal­lu­zi­no­ge­ne Wir­kung hat­ten, in Ver­bin­dung gebracht. Waren die­se gera­de nicht zur Hand, dürf­te der alko­ho­li­sche Rausch sie ersetzt und eine ersehn­te Aus­zeit von der Müh­sal des gefahr­vol­len Über­le­bens­kamp­fes ver­spro­chen haben.

Bier – vom flüs­si­gen Brot zum Kultgetränk

Der wei­te­re Sie­ges­zug des Alko­hols ging ver­mut­lich Hand in Hand mit der Umstel­lung vom Noma­den­tum zum Acker­bau. Die Anzahl der Mit­glie­der einer Sip­pe ver­grö­ßer­te sich. Dabei konn­te man es sich nicht leis­ten, hart gewor­de­nes Brot zu ver­schwen­den. Man ent­deck­te jedoch, dass man es durch die Bei­men­gung von Was­ser und Honig wie­der genieß­bar machen konn­te. So kam der Vor­läu­fer des heu­ti­gen Bie­res, bei den Ger­ma­nen auch „Met“ genannt, in sei­nen bis heu­te anhal­ten­den Ruf, „flüs­si­ges Brot“ zu sein. Bei den Ger­ma­nen erfreu­te sich die­ser Trank durch die Wir­kung der alko­ho­li­schen Gärung größ­ter Beliebt­heit und floss bei Zusam­men­künf­ten gera­de­wegs in Strö­men. Kein Zufall also, dass sich etwa bei Fuß­ball­fans bis heu­te Bier einer weit­aus grö­ße­ren Beliebt­heit erfreut als Wein.

Bier oder Wein, was darf´s denn sein?

Neben die­ser sozia­len Bedeu­tung inner­halb einer Gemein­schaft erleb­te die Ver­brei­tung von Bier und Wein in der anti­ken Kul­tur auch zwi­schen den Völ­kern einen Wer­tungs­un­ter­schied. Die anti­ken Mit­tel­meer­völ­ker, die den Wein vor­zo­gen, rümpf­ten ihre Nase über die Bier­trin­ker aus den ger­ma­ni­schen Wäl­dern. Über­all dort, wo sich die grie­chisch-römi­sche Kul­tur aus­brei­te­te, wur­de der Wein­an­bau vor­herr­schend und ver­dräng­te den im Ruf des „Bar­ba­ri­schen“ ste­hen­den Bierkonsum.

Bis heu­te pro­fi­tie­ren die Fran­zo­sen immer noch von der in der römi­schen Anti­ke begrün­de­ten Wein­kul­tur in ihrem Land; in Deutsch­land hin­ge­gen setz­te sich der Wein­an­bau nur dort durch, wo sich die Römer dau­er­haft nie­der­lie­ßen, z. B. an Mosel und Rhein.

Wein, ein Kultgetränk

Doch Alko­hol war immer mehr als ein Getränk zur Inten­si­vie­rung eines Grup­pen­er­leb­nis­ses und eines kol­lek­ti­ven Rau­sches. Schon das Wort „Kult­ge­tränk“ zeugt bis heu­te von sei­ner Ver­wen­dung bei kul­tisch-reli­giö­sen Fei­ern. Mal reg­te ein Rausch – ver­ur­sacht durch Dämp­fe aus dem Erd­in­ne­ren wie in Del­phi –  die Pries­te­rin­nen des Ora­kels zu Pro­phe­zei­un­gen an, mal wur­de er bei dio­ny­si­schen Fei­ern in Athen oder Rom gezielt durch Wein her­bei­ge­führt. Auch in Nord­ame­ri­ka ver­wen­de­ten die India­ner bei kul­ti­schen Zere­mo­nien bewusst ver­go­re­ne Frucht- und Getrei­de­säf­te. In der christ­li­chen Lit­ur­gie hat sich die Ver­wen­dung von Wein noch heu­te erhal­ten, die in anti­ken Kul­ten ihren Ursprung hat.

 

„Brü­der, kommt schnell, ich trin­ke Sterne!“ 

Im Lau­fe der Geschich­te ver­fei­ner­te sich der Genuss. Unter dem Ein­fluss eines küh­ler wer­den­den Kli­mas im spä­ten 15. Jahr­hun­derts wur­de die Gärung von Wei­nen unter­bro­chen. Die Hefe, die man den Wein­bee­ren zusetz­te und die den Zucker in Alko­hol ver­wan­deln soll­te, hat­te nun nicht mehr genü­gend Zeit, weil die plötz­li­che Käl­te den Gärungs­pro­zess zum Erlie­gen brach­te. Im Früh­jahr setz­te dann die Gärung wie­der ein. Bis dahin hat­te man den Saft bereits in Fla­schen gefüllt. Bei der ein­set­zen­den zwei­ten Gärung ent­stand jedoch ein Über­maß an Koh­len­di­oxid: Dies war zur Geburts­stun­de des Champagners.

Doch es dau­er­te über zwei­hun­dert Jah­re, bis man den per­len­den Wein zu schät­zen lern­te. Erst sei­ne beson­de­re Wert­schät­zung am eng­li­schen Hof ließ Frank­reich auf­hor­chen. Die Adli­gen in Ver­sailles woll­ten dem eng­li­schen Bei­spiel nicht nach­ste­hen und der Bene­dik­ti­ner­mönch Dom Pierre Péri­gnon (1638–1715) wur­de beauf­tragt, die bes­ten Wei­ne der Cham­pa­gne für ein spru­delnd-schau­mi­ges Getränk zu ver­wen­den. Als der Mönch zum ers­ten Mal sei­nen Schaum­wein ver­kos­te­te, soll er laut aus­ge­ru­fen haben: „Brü­der, kommt schnell, ich trin­ke Sterne!“

„Ich hät­te mehr Cham­pa­gner trin­ken sollen“

Dem Erfin­dungs­reich­tum der Kul­tu­ren im Zusam­men­hang mit ver­fei­ner­ten Alko­hol­ge­trän­ken schei­nen kei­ne Gren­zen gesetzt zu sein. Spä­tes­tens mit der Ent­wick­lung des Cham­pa­gners – in ande­ren Welt­ge­gen­den beglei­tet von obst‑, reis- oder ger­s­te­ba­sier­ten Sor­ten, aus denen Schnaps, Whis­key oder Brän­de her­ge­stellt wur­den – begann ein welt­wei­ter Sie­ges­zug des Alko­hols. Zu sei­ner Erfolgs­ge­schich­te trägt bei, dass Alko­hol ent­spannt und Ängs­te wie auch Hem­mun­gen abbaut. Sei­ne Kehr­sei­te ist, dass er aggres­si­ons­stei­gernd wirkt, wes­we­gen Alko­hol in Krie­gen ger­ne an Sol­da­ten aus­ge­schenkt wur­de (und immer noch wird).

Die Viel­falt sei­ner Wir­kung vom bele­ben­den Zau­ber bis zur Destruk­ti­on ist groß. So ver­wun­dert es nicht, dass der eng­li­sche Öko­no­men John May­nard Keynes zu Ende sei­nes Lebens bedau­ernd als letz­te Wor­te geseufzt haben soll: „Ich hät­te mehr Cham­pa­gner trin­ken sol­len…“ Dass er es nicht tat, lag an den Gefah­ren des Alko­hol­kon­sums, die Keynes bewusst waren. Denn wenn der böse Geist ein­mal aus der Fla­sche her­aus ist, ist es schwie­rig, ihn dort wie­der hineinzubekommen.

Alko­hol­kon­sum in Zahlen

Das rich­ti­ge Maß für sich zu bestim­men, ist für vie­le bis heu­te eine sehr schwie­ri­ge Ange­le­gen­heit geblie­ben. Dies umso mehr, als der durch­schnitt­lich pro Per­son genos­se­ne Alko­hol­kon­sum über die Jahr­hun­der­te immer mehr anstieg; nach sta­tis­ti­schen Anga­ben trin­ken die Deut­schen (über 15 Jah­ren) aktu­ell durch­schnitt­lich jedes Jahr über 10 Liter rei­nen Alko­hol. Welt­weit ist der Alko­hol­kon­sum seit 1990 sogar um 70 Pro­zent gestie­gen. Die Gefahr einer spä­te­ren Abhän­gig­keit steigt dabei beträcht­lich, je frü­her in jun­gen Jah­ren der ers­te Voll­rausch ein­tritt. Auch ist die Wahr­schein­lich­keit einer spä­te­ren Alko­hol­sucht bei den­je­ni­gen grö­ßer, deren Eltern bereits abhän­gig waren. Die medi­zi­ni­sche For­schung weiß mitt­ler­wei­le, dass Alko­hol epi­ge­ne­ti­sche Schä­den am Erb­gut verursacht.

Fol­gen des Alkoholmissbrauchs

Die Lis­te der schwe­ren kör­per­li­chen Schä­den durch Alko­ho­lis­mus ist lang: Sie reicht von Magen­blu­tun­gen über Leber­zir­rho­se bis zu Krebs­er­kran­kun­gen (vor allem des Magens, des Kehl­kopfs, der Spei­se­röh­re und der Bauch­spei­chel­drü­se). Dar­über hin­aus steht Alko­ho­lis­mus in Zusam­men­hang mit der Ent­wick­lung von Demenz (Gedächt­nis­ver­lust und kogni­ti­ve Beein­träch­ti­gung) sowie Schlaf­stö­run­gen und Per­sön­lich­keits­ver­än­de­run­gen. Doch die Alko­hol­sucht ist nicht nur für den Ein­zel­nen eine gro­ße Gefahr, son­dern auch für gan­ze Gesell­schaf­ten, wie man am nach­fol­gen­den Bei­spiel sehen kann.

Im Suff ver­sun­ken: Extrem­fall Schweden

In den skan­di­na­vi­schen Län­dern wur­de die Sucht nach Alko­hol im 19. Jahr­hun­dert zu einer gera­de­zu epi­de­mi­schen Seu­che. Gan­ze Land­stri­che ver­fie­len in der lan­gen Win­ter­zeit durch den unge­hemm­ten Suff in einen Dorn­rös­chen­schlaf. Um dem ent­ge­gen­zu­wir­ken, ent­schied die schwe­di­sche Regie­rung, die Ver­brauchs­steu­ern für Alko­hol dras­tisch anzu­he­ben, ein staat­lich orga­ni­sier­tes Ver­triebs­sys­tem auf Mono­pol­ba­sis ein­zu­rich­ten und die Abga­be von alko­ho­li­schen Geträn­ken streng zu ratio­nie­ren. Auch wenn auf Druck der EU in Schwe­den das staat­li­che Mono­pol auf den Alko­hol­ver­kauf mitt­ler­wei­le wie­der auf­ge­ge­ben wur­de, sind die Prei­se dort immer noch rund dop­pelt so hoch wie in Deutsch­land. Mit die­sen Maß­nah­men gelang es schließ­lich im hohen Nor­den, die Alko­hol­sucht weit­ge­hend zurückzudrängen.

Alko­hol: Schwan­ger­schaft, Stra­ßen­ver­kehr und Co-Abhängigkeit

Zu den größ­ten Gefah­ren des Alko­hol­kon­sums zählt Alko­hol in der Schwan­ger­schaft. Als Zell­gift kann Alko­hol bereits in gerin­gen Men­gen einen Embryo für den Rest sei­nes Lebens schä­di­gen. Schon ein täg­lich in der Schwan­ger­schaft getrun­ke­nes Glas Wein erhöht die Wahr­schein­lich­keit von kör­per­li­chen oder geis­ti­gen Anoma­lien des neu­ge­bo­re­nen Kin­des; des­we­gen soll­ten Schwan­ge­re grund­sätz­lich auf jeden Schluck Alko­hol verzichten.

Kein Alko­hol wäh­rend der Schwan­ger­schaft! Foto: Elf-Moond­ance @pixabay

Geis­ti­ge und kör­per­li­che Schä­den bei Neu­ge­bo­re­nen durch Alkohol

Dass die Gefahr immer noch unter­schätzt wird, zeigt der Umstand, dass in Deutsch­land jedes Jahr durch Alko­hol­kon­sum der Müt­ter rund 10.000 Neu­ge­bo­re­ne mit kör­per­li­chen und geis­ti­gen Behin­de­run­gen auf die Welt kom­men, wäh­rend min­des­tens 2.000 Säug­lin­ge sogar am feta­len Alko­hol­syn­drom lei­den, das sich lebens­lang nega­tiv aus­wirkt. Und selbst­ver­ständ­lich hat Alko­hol­kon­sum in der Schwan­ger­schaft auch Aus­wir­kun­gen auf die kogni­ti­ve Ent­wick­lung der Kinder.

Alko­hol am Steuer

Auch im Stra­ßen­ver­kehr wer­den die Gefah­ren des Alko­hols immer noch unter­schätzt. Alko­hol beein­flusst die Boten­stof­fe im Gehirn, die Infor­ma­tio­nen zwi­schen den Ner­ven­zel­len über­tra­gen. Die Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit des Fah­rers nimmt bei Alko­hol­kon­sum deut­lich ab.

Hil­fe bei Alko­ho­lis­mus und Co-Abhängigkeit

Alko­ho­lis­mus schä­digt nicht nur die Kon­su­men­ten selbst, son­dern auch ihr sozia­les Umfeld. Mitt­ler­wei­le fin­det das Phä­no­men der Co-Abhän­gig­keit zuneh­mend Beach­tung, wenn Part­ner oder Freun­de das Sucht­ver­hal­ten der Erkrank­ten för­dern oder dar­un­ter lei­den. In einer sol­chen Situa­ti­on ist es das Bes­te, sich pro­fes­sio­nel­le Hil­fe zu suchen, damit der Zau­ber des Alko­hols nicht zu einem Fluch wird. Ers­te Anlauf­stel­len kön­nen die Sucht­hil­fe des Roten Kreu­zes oder der Cari­tas sein. 

-MCK-

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